Reitkunst für

Islandpferde

Pferdesprache und Mensch-Pferdesprache

"In einem Gespräch erteilt man keine Befehle. Ein Gespräch ist ein Dialog."

Marc Lubetzki

 

"Es ist schwierig, jemandem eine Sprache beizubringen, wenn man selbst die Sprache nicht kann."

Bent Branderup

 

"Gewalt beginnt, wo das Reden aufhört."

Hanna Arendt

Eine harmonische Ausbildung wird wesentlich erleichtert, wenn eure Isländer „Pferdesprache“ können. Zum Glück ist es bei Islandpferdezüchtern und –haltern üblich, die Pferde in Gruppen und Offenstallanlagen mit Weidegang zu halten. Schon die Fohlen und Jungpferde werden auf diese Weise sozialisiert und können in der Pferdesprache miteinander kommunizieren. Das macht sich der Ausbilder zu Nutze, indem er die „Pferdesprache“ imitiert und dem Jungpferd auf dieser Basis eine „Mensch-Pferdesprache“ beibringt. Er kann das Pferd vor allem durch körpersprachliche Signale zu sich einladen, von sich wegschicken und in verschiedene Richtungen dirigieren. Später kommen Hilfen durch Berührung (z. B. durch die Gerte oder den Schenkel) sowie Stimmhilfen dazu. Auf dieser Basis baut die komplette Kommunikation mit dem Pferd auf.

Auch bei Pferden, die aufgrund von Einzelhaltung wenig Pferdesprache beherrschen, gibt es Wege. Gerade für diese Pferde bietet die Akademische Reitkunst eine Möglichkeit, die Zusammenarbeit mit dem Menschen doch noch zu lernen. Bounty (Isländer-Welsh-Mix, mit ca. 16 Jahren neu eingeritten) ist ein sehr gutes Beispiel für so ein Pferd. Das Entscheidende an der Arbeit mit solchen Pferden ist, die Grenze, wo ein Pferd sich widersetzt, niemals zu überschreiten und rechtzeitig aufzuhören. Das kann bedeuten, dass man am Anfang nur wenige Minuten arbeitet – also lieber regelmäßig ein bisschen. Diese Pferde brauchen sehr, sehr lange, bis sie wieder Vertrauen zum Menschen aufgebaut haben. Wenn sie sich überfordert fühlen, fallen sie sofort in alte Muster zurück. Die Akademische Reitkunst bietet den Vorteil, dass der Ausbilder ein Schritt-für-Schritt-Konzept im Kopf hat. Treten die ersten Anzeichen für Widersetzlichkeiten oder Verspannungen auf, geht man sofort wieder einen Schritt zurück. Es hat bei Bounty allerdings ein Jahr gedauert, bis sie wieder mit Menschen zusammenarbeiten konnte. Mit einem unverdorbenen Pferd geht das zum Glück schneller.

bounty reiten

Nach zwei Jahren Grundausbildung lässt sich Bounty wieder entspannt reiten

Bevor man anfängt, mit einem Pferd zu arbeiten, sollten die Grundlagen der Kommunikation gefestigt sein. Das Pferd sollte gerne mit einem zusammenarbeiten. Natürlich gibt es auch sehr starke Reize, die es einem als Ausbilder schwer machen (z. B. wenn man ein Pferd aus einer Herde holt, die gerade auf die Weide gelassen wurde). Falls euer Pferd aber regelmäßig vor euch wegläuft, wenn ihr etwas mit ihm machen wollt, stimmt etwas nicht. Häufig sind diese Pferde überfordert, v. a. wenn sie die ganze Woche herumstehen und dann am Wochenende mehrstündige Geländeritte absolvieren müssen. Muskelkater und Überanstrengung schaffen negative Erinnerungen und sind ein sehr sicherer Motivationskiller. Solche Situationen gilt es zu vermeiden.

Entscheidend ist auch, dass ihr euer Pferd wirklich mögt und Lust habt, mit ihm zusammenzuarbeiten - das Pferd natürlich auch. Nicht alle Pferd-Menschenpaare harmonieren miteinander und wenn das so ist, sollte man sich das ehrlich eingestehen und versuchen, einen Besitzer zu finden, mit dem sich eher eine harmonische Beziehung einstellt.

Besonderheiten bei Islandpferden

Islandpferde sind nach unseren Erfahrungen (wie auch andere Robustpferderassen) eher selbstständig und mutig. Das ist einerseits ein Vorteil, da sie im Gelände mitdenken und weniger leicht erschrecken. Auf der anderen Seite haben sie aber auch oft ihren eigenen Kopf. Aus ihrer rauen Heimat haben Sie die Tendenz mitgebracht, unangenehme Dinge (schlechtes Wetter, aber auch Anforderungen des Reiters) einfach „abzuwettern“, das heißt zu ignorieren oder sich zu entziehen.

Hat von euch schon mal jemand intensiver mit Tierärzten zu tun gehabt? Dann könnt ihr sicher bestätigen, dass Isländer ziemlich hart im Nehmen sind. Dies führt leider häufig dazu, dass man ihnen massive Muskelverspannungen oder Probleme im Bewegungsapparat erst sehr spät anmerkt, gerade im Bereich des Rückens. Diese Pferde lahmen oft nicht, sondern zeigen ihre Schmerzen anders, z. B. durch Durchgehen, Passverschiebung oder Bocken.

Mein Isländer Glæðir hat zum Beispiel eine extrem kurze Sattellage von nur 42cm. Seit einigen Jahren gibt es so kurze Sättel, in denen trotzdem ein Erwachsener Platz hat. Aber ich habe mein Pferd 7 Jahre lang mit einem Sattel geritten, der ihm 6cm zu lang war. Erst als ich mehr Richtung Versammlung gearbeitet habe, wurden auch mir die Probleme klar. Als Islandpferdereiter sollte man daher noch aufmerksamer auf sein Pferd achten als bei empfindlicheren Pferderassen (z. B. Vollblüter, iberische Pferde, Araber). Die Grenze zwischen temperamentvoll und davonlaufen ist fließend.

Dazu kommt, dass bei den Islandpferdereitern „viel Mensch auf wenig Pferd“ sitzt. Die Anfälligkeit für Rückenprobleme ist daher besonders hoch. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Tendenz der letzten Jahre, immer elegantere Isländer mit großer Beweglichkeit und Rittigkeit zu züchten. Das damit verbundene schwache Bindegewebe und die Hypermobilität macht die modernen Islandpferde zunehmend anfälliger für Überlastungen. "Gewichtsträger" sind diese Pferde sicher nicht mehr.

Eine weitere Besonderheit ist, dass die Reiterhilfen bei Großpferden eben auch sehr viel „großräumiger“ ausfallen können. Isländer (gerade Fünfgänger) reagieren oft schon auf minimale Gewichtsverlagerungen mit Balance- oder Taktproblemen. Auf der anderen Seite hat das aber auch Vorteile: Wenn der Reiter gelernt hat, feine Gewichtshilfen zu geben und das Pferd diese versteht, wird das Reiten zum absoluten Genuss und wirkt fast magisch.

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(Text und Foto: Anja)